Das Mensch/Maschine Interface

Bedienoberflächen von Mischpulten - alles nur eine Frage von Gewöhnung oder Marketing?

Nachdem wir die gängigsten Konzepte ein wenig beleuchtet haben, möchte ich doch noch einmal ein paar grundsätzliche Fragen stellen, die mir bei dem Versuch dienen sollen, einem idealen Bedienkonzept näher zu kommen.

Wir sprechen gerne bei der Beurteilung einer Bedienoberfläche von ‚ergonomisch‘ bzw. der zugrunde liegenden Ergonomie des Bedieninterfaces. Was aber verstehen wir denn genau unter den Begriffen ‚ergonomisch‘ und ‚Ergonomie‘? In den meisten Fällen denkt man dabei gerne an Design und schnellen Zugriff auf möglichst viele Parameter. Sicher, wir sind alle Techniker. Wer kann sich da schon der Faszination eines High Tech Gerätes neuester Generation entziehen, welches in herrlichem Blau-Rot-Grün im Dunkel eines Regieraumes schimmert. Sind das nicht die Momente, wo unser aller Herz höher schlägt? Wo wir vor Stolz trockene Lippen und feuchte Hände bekommen und der Abhöranlage noch ein paar extra dB gönnen?

Ein Mischpult, so schön es auch leuchten mag, muß aber bestimmten Anforderungen genügen. Und diesen Anforderungen liegen Erkenntnisse aus der Kommunikationstechnik, der Informationstheorie und der Ergonomie zugrunde.

Um einen kurzen Einblick in die informationstechnischen Grundlagen und deren Komplexität zu geben, hier ein Beispiel aus einem anderen, leicht verständlichen (und emotionell unbelasteten) Bereich:

Eine Fernschreibtastatur mit 31 Tasten und ein einzelner Taster für ‚an‘ und ‚aus‘ sollen zur Übermittlung des Alphabets herangezogen werden. Die Tastatur besitzt 32 Zustände, denn der Zustand ‚keine Taste drücken‘ muß mitgerechnet werden, der Taster nur zwei. Wenn wir nun eine normale Tippgeschwindigkeit zur Grundlage nehmen, dann können pro Sekunde 5 Anschläge getippt werden. Beim ersten Anschlag gibt es 32 Möglichkeiten. Beim zweiten Anschlag allerdings bereits eine Kombination des getippten Wortes (unter Einbezug des ersten Buchstabens), nämlich 1024 Möglichkeiten. Die Kombinatorik gebietet, daß dann beim dritten bereits 32768 verschiedene Buchstabenfolgen möglich sind. Und das innerhalb nur einer 3/5 Sekunde, also 600 ms. Dieses System erlaubt eine große Anzahl von Kombinationen zur schnellen Übermittlung komplexer Sachverhalte. Nachteil: Eine schnell unübersichtlich werdende und verwirrende Anzahl von Kombinationsmöglichkeiten!

Der Taster kann unter Anwendung des Morsecodes die gleichen Daten übermitteln. Seine Möglichkeiten hierbei: nach 1/5 sek genau 2. Nach 2/5 sek 2 ^ 2 = 4, nach 3/5 sek. 2 ^ 3 = 8. Die Kombinationen sind also weitgehend eingeschränkt. Nachteil: Gleiche Datenmengen benötigen längere Übermittlungszeiten. Dafür steigt jedoch die Übersichtlichkeit.

Wie man sieht, ist der Shannonsche Grundgedanke, ‚die tatsächlich durch einen Kanal übertragene Information kann dadurch gemessen werden, daß man abzählt, wie viele Botschaften gesendet werden könnten‘, nicht so einfach wie angenommen.

Die Übermittlung vieler Informationen ist nur eine der Aufgaben, die sich bei der Gestaltung einer Oberfläche stellen. Denn bei der Vielzahl von Anforderungen und Möglichkeiten sollen ja möglichst einfach klare Strukturen erkannt werden können.

Anforderungen

Die Arbeit eines Tonmeisters besteht aus hochkomplexen und schnellen Arbeitsabläufen, die mit höchster Kreativität gepaart sind. Dabei muß auch noch auf die unterschiedlichsten Eindrücke sinnvoll reagiert werden, damit eventuell vorhandene Schwächen ausgeglichen, oder aber auf die Spezialwünsche von Regisseuren und Dirigenten eingegangen werden kann. Diesen Anforderungen muß eine Oberfläche gerecht werden, will sie im professionellen Tagesbetrieb bestehen.

Auch hier ein kurzes Beispiel aus der Praxis, daß ich Herrn Norbert Giebel, einem Tonmeister mit über 40-jähriger Erfahrung bei Studio Hamburg, verdanke. Herr Giebel beschrieb in einem von ihm veröffentlichten Artikel den Druck, dem ein Tontechniker bei einer Filmmischung ausgesetzt ist. Er muß häufig nicht nur Regieanweisungen schnellstens umsetzen, sondern auf rasante und schnell wechselnde Szenen reagieren. Herr Giebel wies an einem Beispiel nach, daß für manche hochkomplexen Vorgänge nur 300-500 ms zu Verfügung stehen. Welch eine Anforderung an die Bedienbarkeit eines Mischpultes!

Die Oberfläche muß alle Informationen nicht nur wiedergeben, sondern bereits so aufbereiten, daß sie leicht verständlich und übersichtlich zur Verfügung stehen. Die Kommunikationswissenschaft, in der Gestaltung von Bedienoberflächen noch keine allzu alte Disziplin, ist bei diesen Prozessen zugrunde zu legen. Ich behaupte zusätzlich, daß wir mit den Maschinen unserer Zeit in komplexe Kommunikation treten müssen, die über ‚Schalter ist aus‘ oder ‚Band läuft‘ weit hinausgeht. Hieraus folgt unweigerlich, daß der Informationsgehalt und die Informationsmenge eines Vorganges gemessen werden müssen.

Dabei kann eine Oberfläche, will sie der Anforderung ‚Schnelligkeit‘ genügen, längst nicht alle Informationen wiedergeben. Das wäre zu verwirrend, sowie zumeist unerwünscht. Die anzuzeigende Information kann nun aber auch nicht einfach irgendwie dargestellt werden. Wichtig ist, wie sie aufbereitet wird, um mit möglichst einfachen Mitteln alle relevanten Informationsanteile zu liefern. Und hier gibt es erhebliche Unterschiede.

Jeder Hersteller wird natürlich versucht sein, das eigene Konzept als Ideallösung darzustellen. Leider spielen Ästhetik, Kosten oder ‚philosophische‘ Grundüberlegungen eine nur untergeordnete Rolle (wenn überhaupt). Erfahrungswerte und Untersuchungen alleine können Lösungsansätze bieten, soll das Nervenkostüm des ‚Tonkutschers‘ auch nach vielen ‚Fahrten‘ noch intakt sein. Wie alles andere auch, müssen diese Ansätze einer Evolution unterliegen. Ideale lassen sich nicht aus der Retorte schaffen – wenigstens dann nicht, wenn der Faktor Mensch eine Rolle spielt.

Menschliche Intuition

Und gerade der Mensch bringt ja auch noch zwei wichtige Faktoren in die wissenschaftlichen Ergebnisse ein, die nicht so leicht faßbar sind: Erfahrung/Gewöhnung und Intuition. Während erstere noch verhältnismäßig leicht zu erfassen und umzusetzen sind, kann die Intuition, das Gefühl für das Richtige, nur sehr schwer in eine Oberfläche eingebracht werden. Und jeder erfahrene und leidgeprüfte Tonmeister wird bestätigen, daß viele der von ihm vorzunehmenden Prozesse keiner rationalen Überlegung und Planung folgen, sondern fein intuitiv ablaufen und sich jeder genauen Betrachtung entziehen. 300-500 ms lassen keinen Raum für Überlegungen, sondern erfordern schnelles und einfach durchzuführendes Handeln.

Eine Folgerung hieraus muß sein, daß zu viele bewußte Akte der Kontrolle und Steuerung gerade das Intuitive in unserer Arbeit behindern. Es ist grundsätzlich etwas anderes, gelassen einen Kompressor einzustellen, oder aber schnelle Veränderungen während einer laufenden Vorstellung, Sendung oder Abmischung vornehmen zu müssen.

Automationen helfen natürlich komplexe Mischprozesse zu vereinfachen – aber gerade durch diese Möglichkeit läßt sich mancher Hersteller gerne verleiten. Die Tatsache, Vorgänge wiederholen und ‚aufnehmen‘ zu können, ist für ihn gleichbedeutend mit der Bereitschaft des Anwenders, auf Intuition und leichte Bedienbarkeit verzichten zu wollen.

Dann wird eine bereits komplizierte und nur schwer zu bedienende Oberfläche durch Menüseiten, Spezialbedingungen oder durch nur über Umwege zu erreichende Funktionen gnadenlos abgerundet. Da kann dann nicht einmal mehr Erfahrung oder Liebe zum Beruf helfen.